Was bringt dich auf die Palme?

Wut ist ein hilfreiches Gefühl – wenn wir einen guten und reflektierten Umgang damit erlernen

Aggression und Wut haben gesellschaftlich betrachtet keinen guten Ruf. Der Grund ist, dass Wut Menschen – zumindest vorübergehend – voneinander trennt. Zudem kann Wut in Hass und Gewalt gipfeln, was natürlich niemals gut ist. Emotionen wie Wut und Aggression sind dennoch notwendig. Sie haben den lebensgeschichtlichen Sinn, dass wir unsere persönlichen Grenzen verteidigen können. Manchmal sehen wir aber ein feindseeliges Verhalten, wo keines ist. Das liegt an unseren Erfahrungen, der Interpretation von Situationen und unserer Wahrnehmungsverzerrung. Wir überreagieren dann manchmal.

Menschen, die sich anderen oft unterlegen wähnen, fühlen sich subjektiv schnell angegriffen. So können sie beispielsweise Bemerkungen, die objektiv harmlos sind, in den falschen Hals bekommen und reagieren gekränkt. Kränkung ist ein Gefühl, das ungeheure (aktive) Aggression freisetzen kann. Menschen, die zu solcher Impulsivität neigen, leiden häufig selbst darunter. Spätestens wenn der Wutrausch verflogen ist und sie wieder in ihrem Erwachsenen-Ich angekommen sind, wissen sie, dass sie über das Ziel hinausgeschossen sind. Das Problem ist, dass impulsive Wut sehr schwer zu zügeln ist. Bei impulsiv veranlagten Menschen liegt eine sehr schnelle Reiz-Reaktions-Verknüpfung vor. Das heißt, die Zeitspanne zwischen dem wutauslösenden Trigger und der Reaktion ist extrem kurz. Gerade wenn man zu impulsiven Wutausbrüchen neigt, ist es besonders wichtig, dass man seine Trigger kennt, weil genau hier die Prävention schon ansetzen muss.

Wie kann man sich diesem Problem nähern? Der erste Schritt ist diesen Charakterzug und dieses Gefühl anzunehmen und womöglich sogar die positiven Seiten zu sehen.

Eine Würdigung könnte lauten: Du lässt dir nichts gefallen. Du bist sehr stark und weisst dich zu wehren. Du bist eine Kämpfernatur. Deine Impulsivität macht dich auch sehr lebendig – es wird einem nicht so schnell langweilig mit dir.

Als nächstes reflektiert man die Hintergründe: Vielleicht ist dein Schattenkind besonders leicht kränkbar, weil du als Kind nicht hinreichend wahrgenommen wurdest, nicht das Gefühl hattest, wichtig zu sein. Du hast als Erwachsener schnell das Gefühl, dass du respektlos behandelt und angegriffen wird.

Eine „Erste Hilfe“-Strategie ist: Versuche möglichst, in deinem Erwachsenen-Ich und somit auf Augenhöhe mit deinen Mitmenschen zu bleiben, damit du vernünftig und angemessen reagieren kannst. Hierbei kann es dir sehr helfen, dich auf Situationen vorzubereiten, die dich in Wut versetzen können. Hierbei kann es dir sehr helfen, wenn du dir Antwortstrategien zurechtlegst. Wenn du also weißt, dass deine Eltern, deine Kollegin oder deine pubertierenden Kinder dich schnell auf die Palme bringen, dann kannst du dich wappnen, indem du dir mithilfe deines inneren Erwachsenen klarmachst, welche Tasten sie bei dir drücken und indem du dir im Voraus überlegst, auf welche Weise du reagieren möchtest und wie du gelassener bleibst.

Apropos Gelassenheit: Man wird ja nicht nur aus einem unterlegenen Gefühl heraus wütend, sondern man kann auch aus einer überlegenen Position seiner Aggression freien Lauf lassen. So toben tagtäglich Vorgesetzte ihren Frust bei Untergebenen aus, Eltern bei ihren Kindern, Lehrer an ihren Schülern usw. Und natürlich gehen auch Menschen aufeinander los, die sich durchaus auf Augenhöhe fühlen. Wut kommt nämlich häufig dann auf, wenn es nicht so läuft, wie man es gern hätte. Dafür reicht es, dass man sich vom Partner falsch verstanden fühlt oder dass er die Geschirrspülmaschine nicht ausgeräumt hat.

Fazit: Impulsivität ist kein reines Widerfahrnis, kein Naturgesetz und auch kein Schicksalsschlag. Man hat durchaus Einfluss auf seine Impulsivität, wie jeder Mensch mit dieser Veranlagung sich selbstkritisch eingestehen muss. Jedem Wutanfall geht nämlich ein winzig kleiner Moment der freien Entscheidung voraus. Den können wir nutzen, wenn wir uns gut genug kennen.

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