Der Königsweg aus der Bindungsangst führt über die Selbsterkenntnis. Solange ich mir nicht bewusst bin, dass und warum ich mich so verhalte, werde ich keinen Zugriff auf meine unbewussten Mechanismen und persönlichen Verhaltensmuster finden. Natürlich sind diese Muster sehr individuell. Ich gehe in diesem Text erneut auf ein paar Kernthemen von bindungsängstlichen Menschen ein, die in vielen Beziehungen eine Rolle spielen.
Punkt 1: Steig aus der Opferrolle aus!
Das innerste Gefühl von Bindungsängstlichen ist das eines Opfers, das sich gegen Angreifer schützen muss. Ursache dafür sind Verletzungen, die bindungsgestörten Menschen in ihrer Kindheit zugefügt wurden. Viele von ihnen fühlen sich daher so, als ob die Welt ihnen grundsätzlich Übles wolle. Bindungsängstliche Menschen empfinden auch ihre Partner oft als Personen, die sie umerziehen, knechten, anbinden, vereinnahmen wollen. Manche sehen in ihren Partnern auch eine diffuse Bedrohung, weil sie einen früher oder später fallen lassen werden. Als Konsequenz behandeln sie ihre Partner entsprechend schlecht!
Tipp: Die Beziehungen haben nur dann eine Chance, wenn die Bindungsängstlichen ihre verfälschte Sichtweise erkennen. Wer sich also auch nur ein bisschen in dieser Selbstwahrnehmung wiederkennt, sollte sich mit den wahren Ursachen für seine Ängste beschäftigen. Der Ausweg aus der zerstörerischen Opferrolle liegt in der Erkenntnis der eigenen Projektionen.
Punkt 2: Kümmere dich um deine Angst vor Nähe und Hingabe!
Das Erlebnis von Hingabe und Nähe löst bei Bindungsängstlichen oft die Angst aus, nicht mehr ohne den Partner sein zu können. Kaum fühlen sie großes Glück, sorgen sie sich, dass sie sich nach dem unweigerlichen Verlust entsetzlich fühlen werden. Die Ursache für diese Angst liegt oft in frühen Erfahrungen: Bindungsängstliche haben in ihrer Kindheit zu wenig Geborgenheit bekommen. Um sich vor einer erneuten Zurückweisung zu schützen, sabotieren sie enge Bindungen – oft nach besonders schönen Momenten.
Tipp: Bindungsängstliche sollten versuchen, ihren Wunsch nach Nähe ganz bewusst Aufmerksamkeit zu schenken. Schon dadurch stellt sich oft Erleichterung ein, denn der Umgang mit unterdrückten Gefühlen ist viel schwieriger als der mit bewussten Bedürfnissen! Es gibt dann keine Nähe-Sehnsucht mehr, die einen überraschend überfluten kann. Eine weitere sinnvolle Maßnahme ist, mit dem Partner über die Probleme und Ängste zu reden.
Punkt 3: Hör auf, deine Beziehung auf die Probe zu stellen!
Bindungsängstliche neigen dazu, den Partner bzw. die Partnerin immer wieder auf die Probe zu stellen. Nach dem Motto: „Mal sehen, ob du mich dann noch liebst“. Hat ein Partner eine Probe bestanden, kann der Bindungsängstliche kurz aufatmen – aber dann werden neue Proben gestellt, die nicht selten an Härtegraden zunehmen. Dieses Spiel wird so lange fortgesetzt, bis der Partner irgendwann tatsächlich aufgibt. Der Bindungsängstliche hat sich dann bewiesen, was er bzw. sie schon vorher wusste: Jede*r verlässt mich.
Tipp: Wer für sich erkennt, dass er seine Partner immer wieder auf die Probe stellt, sollte sich seiner Motive bewusstwerden. Welche unbewussten Gefühle treiben einen dazu, das Gegenüber zu testen und zu provozieren? Will man Bestätigung bekommen, dass der andere immer bleibt?
In dem Fall sollte man sein inneres Kind an die Hand nehmen und erklären, dass es auf diesem Weg keine Sicherheit bekommen wird. Die Angst unseres inneren Kindes dürfen wir nicht ungebremst in unserer Beziehung ausleben.
Fazit: Wer es schafft, seine Ängste zu durchschauen und vielleicht ein Stück weit abzulegen, wird feststellen, wie viel Energie die Verdrängung und Flucht kosten. Außerdem kann man etwas erleben, was Bindungsängstliche oftmals noch nie erlebt haben: echte Verbundenheit mit anderen Menschen.
Natürlich hat die Selbsthilfe im Bereich tief sitzender psychischer Probleme ihre Grenzen. Ich ermuntere alle Betroffenen, sich von einem guten Psychotherapeuten auf dem Weg unterstützen zu lassen.