Wir leben in einer Zeit, die uns täglich viel abverlangt und in der Stress zum Dauerzustand wird. Und derart angespannt fällt es uns schwer, auf die eigene Stärke zu vertrauen. Das begünstigt unsere negativen Glaubenssätze, die dann immer mehr Raum einnehmen. Wie wir gegensteuern können.
„Wir werden, was wir glauben“, sagte Earl Nightingale. Ich zitiere den amerikanischen Autor und Motivationstrainer immer wieder gerne, weil er mit nur fünf Worten die Macht unserer Glaubenssätze auf den Punkt gebracht hat. Glaube ich, wertvoll zu sein oder wertlos? Und warum glaube ich das eine oder das andere? Die Antwort liegt in der Vergangenheit, denn die meisten Glaubenssätze erwerben wir schon früh durch den Selbstwertspiegel, den wir durch unsere Eltern und andere wichtige Bezugspersonen erhalten. In der Regel verinnerlichen wir dabei sowohl positive als auch negative Glaubenssätze. Positive Glaubenssätze wie „Ich bin okay“ entstehen in Situationen, in denen wir uns angenommen und geliebt fühlen. Negative Glaubenssätze wie „Ich bin nicht okay“ entstehen in Situationen, in denen wir uns falsch und abgelehnt fühlen.
Unsere negativen Glaubenssätze lösen meist sehr unangenehme Gefühle aus. Doch diese abwertenden Annahmen über uns selbst wurden uns nicht in die Wiege gelegt, sie haben sich erst im Laufe unserer Erfahrungen entwickelt. Unsere Glaubenssätze haben also mit angeborenen Persönlichkeitsmerkmalen nicht zu tun, sie sind die Annahmen eines Kindes, das versucht, sich einen Reim auf die Welt und auf das Verhalten seines Umfeldes zu machen.
Es ist nicht deine Schuld
Meine Klientin Katharina denkt beispielsweise, sie würde immer zu viel Raum einnehmen, müsse sich mehr zurücknehmen und dürfe nicht zur Last fallen. Entsprechend hat sie im Job zu allem Ja und Amen gesagt und auch in der Familie und im Freundeskreis ihre eigenen Bedürfnisse grundsätzlich zurückgestellt. In der Therapie haben wir herausgearbeitet, dass sie als Kind einfach nur ein Umfeld erlebt hat, in dem die Menschen überfordert waren und ihr nicht den Raum geben konnten, den sie gebraucht hätte. Für diese Überforderung oder für andere Umstände konnte sie als Kind aber nichts. Es sind die Erwachsenen, die die Verantwortung für ihre Kinder tragen, nicht andersherum.
Mein Rat lautet an dieser Stelle: Gib die Verantwortung nun bewusst ab, indem du dir sagst, dass deine Glaubenssätze ein Irrglaube sind und du heute nicht mehr nach diesem Irrglauben leben musst. Du bist erwachsen und kannst die Regeln selbst bestimmen. Katharina habe ich außerdem drei Übungen mit auf den Weg gegeben, um ihre negativen Glaubenssätze zu entmachten:
- Welche neue Regel gilt jetzt für dich? Was möchtest du heute über dich glauben? Schreibt dir deine Antworten am besten in ein schönes Tagebuch.
- Wenn du mehrere negative Glaubenssätze entmachten willst, nimmt dir nicht mehr als drei vor. Das reicht für den Anfang. Meistens drehen sich unsere Glaubenssätze im Kern um dasselbe Thema.
- Wichtig ist, dass du nicht einfach das Gegenteil von deinem alten Glaubenssatz formuliert. Schreib also nicht „Ich bin keine Last.“ Meist glauben wir uns das ohnehin nicht.
Nimm lieber etwas, das sich für dich stimmiger anfühlt. Zum Beispiel „Ich darf auch mal zur Last fallen.“ Oder: „Meine Gefühle gehören zu mir. Ich darf alle davon zeigen.“
Häufig fühlen sich neue Glaubenssätze noch etwas komisch und ungewohnt an. Kein Wunder, das sind sie auch. Schließlich haben wir lange Zeit in unserem Irrglauben gelebt. Wichtig ist, dass wir unseren neuen Glaubenssatz nicht nur denken, sondern ihn auch fühlen. Deswegen sollte er unbedingt positiv und für uns auch realistisch sein. Wenn unser neuer Glaubenssatz beispielsweise lautet: „Ich bin wichtig“ und sich dies viel zu groß für uns anfühlt, dann sollten wir ihn etwas modifizieren. So könnten wir beispielsweise formulieren: „Für meine Kinder bin ich wichtig.“ Hier sollten wir unsere Kreativität wirken lassen und uns Zeit nehmen, denn ein positiv-realistischer Glaubenssatz hat eine große Heilkraft.
Warum wir an negativen Glaubenssätzen festhalten
Bei der Arbeit an den Glaubenssätzen bekomme ich von meinen Klienten immer wieder den folgenden Satz zu hören: „Theoretisch ist mir das alles klar, aber ich kann es trotzdem nicht ändern.“ Die Betroffenen haben verstanden, dass es sich bei ihren alten Glaubenssätzen um willkürliche Prägungen handelt und ihre neuen Glaubenssätze die Realität viel besser abbilden, und trotzdem können sie den neuen Glaubenssatz einfach nicht fühlen. Dann stelle ich immer die gleiche Frage: Welchen unbewussten, positiven Nutzen könnte es für dich haben, am alten Glaubenssatz festzuhalten? Unsere Psyche macht nämlich nichts, ohne einen guten Zweck zu verfolgen, auch wenn dieser oberflächlich betrachtet, destruktiv wirkt.
Deswegen sollten wir einmal tief in uns hineinspüren und uns eben diese Frage stellen. Häufig halten Menschen aus Loyalität zu den Eltern an ihren negativen Glaubenssätzen fest. Wenn sie sich eingestehen würden, dass ihre Eltern wirklich Fehler gemacht haben, würde das zu starke Schmerzen auslösen. Das heißt, auf einer oberflächlich gedachten Ebene wissen sie zwar, dass ein paar Dinge früher nicht so einfach waren, aber sie lassen das nicht bewusst an sich herankommen. Auch die sogenannte Enttäuschungsprophylaxe ist ein versteckter Nutzen, in alten Glaubenssätzen steckenzubleiben. Wenn ich daran festhalte, dass ich nicht genüge, dann halte ich automatisch meine Erwartungen flach und kann nicht so tief fallen. Manche Menschen befürchten auch, dass sie Antrieb und Ehrgeiz verlören, würden sie, so wie sie sind, tatsächlich genügen. Der alte Glaubenssatz stellt also Kontrolle über ihr Leistungsmotiv her.
Was unsere Gefühle uns sagen
Glaubenssätze rufen unterschiedliche Gefühle hervor, je nachdem welche Bedeutung sie aufweisen. So wird etwa die gedankliche Annahme, „Ich bin peinlich“ Schamgefühle triggern, während die Annahme „Ich bin allein“ eher Gefühle von Traurigkeit und Einsamkeit weckt. Wichtig ist, dass wir die Gefühle, die ein Glaubenssatz in einer bestimmten Situation auslöst, wahrnehmen, denn nur dann merken wir, dass gerade ein Glaubenssatz in uns aktiv ist. Ohne die Verbindung zu unseren Gefühlen, hätten diese verinnerlichten Grundüberzeugungen nämlich gar keine große Macht über uns. Katharina bitte ich deshalb regelmäßig, einmal tief in sich hineinzuspüren. Welche Gefühle kommen auf, wenn sie ihre Glaubenssätze ganz bewusst wahrnimmt? Sollen sich bei ihr schmerzhafte Gefühle wie tiefe Traurigkeit, rasende Wut oder auch Angst breitmachen, ist das ganz natürlich. Davon solle sie sich nicht unterkriegen lassen.
„Du bist ein leuchtender Stern von Anfang an“, lautet ein Zitat des Psychologen und Psychotherapeuten Jens Corssen und dem stimme ich zu. Unsere Glaubenssätze sagen nichts über unseren Wert aus. Sie sagen lediglich etwas darüber aus, wie wir aufgewachsen sind und was uns geprägt hat. Sie spiegeln unsere Einstellung zu uns selbst, die aus einer alten Überzeugung genährt wird. Es liegt in unserer Hand, sie zu entmachten, um unsere Leuchtkraft wieder wahrnehmen zu können.