Dein Problem ist (nicht) mein Problem: Über die Grenze zwischen Hilfsbereitschaft und Helfersyndrom.
Warum macht Hilfsbereitschaft gesund und glücklich?
„Ohne mich schafft er das nicht.“ Oder: „Sie braucht mich einfach.“ Solche Sätze höre ich als Therapeutin häufig. Etliche meiner Klienten sind ungeheuer hilfsbereite Menschen – und kommen genau damit nicht gut zurecht. Das klingt zunächst paradox. Anderen zu helfen, ist schließlich eine sehr schöne und sehr anerkannte soziale Eigenschaft. Und nicht nur das: Hilfsbereitschaft macht glücklich. Jemand anderen zu unterstützen, löst im Gehirn die gleichen Glückshormone aus wie ein Stück Schokolade. Woran das liegt? Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir sind auf Kooperation angelegt, weil das unser Überleben sichert. Unser Gehirn reagiert deshalb darauf, wenn wir uns entsprechend verhalten.
Wann wird aus Hilfsbereitschaft ein Helfersyndrom?
Hilfsbereitschaft ist an sich eine gute und auch eine gesunde Sache. Das gilt allerdings nicht mehr, wenn wir die Probleme anderer Menschen zu unseren eigenen Problemen machen. Dann können wir genau an dieser Eigenschaft verzweifeln: Wer das Leben anderer Menschen ordnen will, verstrickt sich nicht selten in schier aussichtlose Hilfsprojekte. Manchmal geht es dabei um ein Familienmitglied oder eine Freundin, noch öfter allerdings um den Partner oder die Partnerin.
Welche Schutzstrategie steckt hinter dem Helfersyndrom?
Bekannt ist dieses Phänomen als Helfersyndrom. Hinter dem aufopferungsvollen Verhalten versteckt sich häufig eine psychologische Schutzstrategie: Die überambitionierten Helfer sind nicht etwa besonders selbstsicher und deshalb bereit, andere auch noch mitzuziehen. Sie haben vielmehr Probleme mit dem eigenen Selbstwertgefühl. Sie haben Glaubenssätze verinnerlicht wie „Ich genüge nicht“ oder „Ich muss dir helfen, um geliebt zu werden“. Sie brauchen dringend Anerkennung von anderen Menschen und haben das Gefühl Außergewöhnliches leisten zu müssen, um diese Wertschätzung zu bekommen.
Das ist kein bewusster Vorgang, keine Taktik. Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, lösen bei den „Helfenden“ Unterlegenheitsgefühle aus. Sie nehmen diese Personen als überlegen wahr und gehen auf Distanz zu ihnen. Stattdessen suchen sie sich ganz intuitiv „Hilfsobjekte“: Menschen, die sie als bedürftig wahrnehmen. Oft führen sie eine Liebesbeziehung mit jemandem, der große persönliche Probleme hat, der unter einer Suchtproblematik leidet oder finanziell am Abgrund steht. Durch ihre Hilfsangebote fühlen sie sich nützlich und aufgewertet.
Wann bringt Hilfsbereitschaft keinen Erfolg?
Wenn die Gleichung aufginge, gäbe es bei diesem Miteinander eine Win-Win-Situation. So ist es aber nicht. Das Problem ist, dass die Helfenden oft auf verlorenem Posten kämpfen. Ihre Hilfsobjekte übernehmen oft keine oder nicht hinreichend Verantwortung für ihre Misere. Das tun sie aber erst Recht nicht, wenn jemand anderes ihnen einen Teil der Probleme abnimmt – denn dann gibt es keinen Leidensdruck, der sie selbst zum Handeln zwingt. Ein paar Beispiele: Wenn ein erwachsener Mann keine Freunde hat, kann eine liebende Partnerin ihn nicht aus seiner Einsamkeit erlösen und sein Sozialleben für ihn managen. Playdates organisieren Mütter für ihre Kinder! Wenn ein Freund ständig zu viel trinkt, kann sein bester Kumpel ihn nicht von seiner Sucht befreien. Wenn ein Beziehungspartner konstant zu viel Geld ausgibt, sollte der andere das nicht ausgleichen.
Dazu kommt, dass die „Hilfsobjekte“ oftmals auch keine Verantwortung für ihre Beziehung übernehmen wollen. Sie reagieren auf das Engagement ihrer Partner nicht mit Wertschätzung. Die Helfenden erleben dann, dass ihre Bemühungen ins Leere laufen. Ihre eigenen Bedürfnisse nach Zuwendung kommen zu kurz. Dadurch wird der Helfende in seinem negativen Selbstwert bestätigt, doch noch nicht liebenswert genug zu sein und doch noch nicht genug getan zu haben. Diese Abwärtsspirale kann sich immer weiter drehen, wenn die Helfer sie nicht erkennen und den Leidensdruck beenden.
Wie hilft man sich selbst, um sich nicht aufzuopfern?
Ich rate meinen Klienten dazu, sich zunächst selbst dafür zu würdigen, dass sie solche Anstrengungen unternommen haben. Es verdient Respekt, wenn wir uns so sehr bemühen, hilfsbereite, gute Menschen zu sein. Mit Sicherheit hat diese Unterstützung auch etwas bewirkt. Dass wir unser Ziel nicht erreicht oder keinen Dank bekommen haben, ist nicht unser Fehler. Ich rate meinen Klienten dann auch, diese Schutzstrategie zu überwinden: Sie müssen nicht allzeit hilfsbereit sein, um geliebt zu werden.
„Das ist nicht dein Problem“, lautet eine gängige Formulierung, um seinem Gegenüber mitzuteilen: „Halt dich da raus.“ „Das ist nicht mein Problem“ macht deutlich, dass man nicht vorhat, dem anderen zu helfen. Beides klingt nicht besonders freundlich. Trotzdem ist an beidem ein Körnchen Wahrheit: Es ist hilfreich, wenn wir eine gewisse Distanz zu den Problemen anderer Menschen bewahren. Es ist wichtig Mitgefühl zu haben, aber sich nicht im Mitleid zu verlieren. Dann können wir andere nämlich auch besser unterstützen. Natürlich dürfen und sollen wir weiterhin anderen Menschen helfen. Aber eben nur da, wo unsere Hilfe angemessen ist.