Dating Apps, Online Partnerbörsen und Soziale Medien: Das Netz bietet viele Möglichkeiten eine Beziehung zu finden. Verhindert diese Art des digitalen Kennenlernens reale menschliche Nähe? Bindungsexpertin Stefanie Stahl über Chancen und Risiken des Online Datings
„Jeder ist beziehungsfähig“. So lautet der Titel meines Beziehungsratgebers – bei vielen ruft diese These Erstaunen oder sogar Widerspruch hervor. Ist die Menschheit nicht kurz davor, zur „Generation Beziehungsunfähig“ zu mutieren? Werden durch Online Dating und Social Media echte menschliche Beziehungen nicht immer unwichtiger?
Das ist völliger Unfug, kann ich da nur erwidern. In meiner Arbeit als Therapeutin erlebe ich das Gegenteil. Etliche wissenschaftliche Studien belegen außerdem, dass wir Menschen durch die Evolution einen tiefen Bindungswunsch in uns verankert haben. Dieses Programm ändert sich nicht von jetzt auf gleich. Jeder weiß, wie träge die Evolution ist: Unsere Körper haben bis heute nicht kapiert, dass wir Kühlschränke haben und meinen jedes Gramm Fett ansetzen zu müssen. Und dann sollen ein paar Jahrzehnte Internet und ein paar Jahre Social Media das Bedürfnis nach Liebe verändern?
Beim seriösen Online Dating geht es von Anfang an um die gemeinsame Basis
Online Dating und soziale Netzwerke haben zunächst mal den Effekt, dass sie die Kommunikation vereinfachen. Wie wunderbar und hilfreich das beim Kennenlernen ist, erleben wir gerade jetzt in Zeiten von Corona.
Natürlich erleichtern diese Medien auch das Beenden einer Beziehung. Schlussmachen per Whatsapp? Ist unreif und unschön, aber früher haben sich viele einfach nicht mehr gemeldet. Wegwischen bei Tinder, weil einem die Optik nicht gefällt? In der Kneipe guckt man halt weg. Ich sehe da keinen fundamentalen Unterschied.
Eine andere häufige Frage ist, ob die sozialen Netzwerke Misstrauen und Eifersucht in Beziehungen schüren. Klar, kann man die Wege und Aktionen eines Dates oder seines Partners dadurch besser nachvollziehen. Aber man darf dabei nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Das Netzt ist nicht die Ursache dafür, dass jemand besonders misstrauisch ist.
Ich halte im Internet angebahnte Beziehungen für besonders haltbar, wenn man dort ernsthaft auf der Suche ist. Da sind noch nicht die Verliebtheitshormone beteiligt, da lenkt zunächst der Verstand. Natürlich kann man sich im Netz anders darstellen, als es der Wirklichkeit entspricht. Aber beim seriösen Online Dating überprüfen viele Menschen von Anfang an, mit wem sie es zu tun haben und wie groß die gemeinsame Basis ist.
Wer online ehrlich und offen ist, findet eher ein passendes Gegenüber
Wer im Netzt nach der großen Liebe sucht, sollte also ehrlich sein, was die eigene Person betrifft. Das klingt einfach, ist es aber nicht unbedingt. Es setzt nämlich zunächst voraus, dass man einen guten Zugang zu seinen Gefühlen hat und weiß, was man braucht.
Man benötigt ein stabiles Selbstwertgefühl, um eine gute Balance zwischen Anpassung und Durchsetzungsvermögen zu haben. Man braucht dieses Bewusstsein für sich selbst auch, um sich als derjenige zu zeigen, der man ist. Viele Menschen kämpfen zum Beispiel mit einem inneren Schattenkind – mit einer kindlichen Prägung – die ihnen suggeriert, nicht gut genug zu sein. Die haben dann zwangsläufig Angst, dass ihr „wahres Ich“ für eine Enttäuschung sorgt und handeln dementsprechend vorsichtig.
Wer sich seiner unbewussten, negativen Prägungen bewusst wird und daran arbeitet, hat viel bessere Chancen beim Dating. Wer sich selbst okay findet, traut sich nämlich authentisch zu sein. Dann weiß das Gegenüber, was Sache ist. Und man selbst erkennt auch schneller, ob man sich verbiegen muss oder ob es passt.