Selbstbewusstsein, Selbstwert

Scheitern ist erlaubt

Wir alle möchten ungute Gefühle vermeiden und die entstehen immer dann, wenn es eine Kluft gibt zwischen dem, was wir wollen, und dem, was ist. Eine Kluft, die natürlich bei jedem Misserfolg entsteht. Warum wir es dennoch wagen sollten, öfter mal zu scheitern.

Der Wunsch Kontrolle auszuüben, gehört zu unseren Grundbedürfnissen. Dabei üben wir nicht allein Kontrolle aus, um bestimmte Ziele zu erreichen, sondern auch, um uns vor Verletzungen zu schützen. So kann ich den starken Wunsch hegen, beruflich in eine verantwortliche Position zu kommen, aber gleichzeitig Angst haben, in dieser zu scheitern. Die Frage ist dann: Nehme ich die Angst in Kauf und setze mich aktiv dafür ein, diese Position zu erreichen und mich in ihr zu bewähren, wenn sie mir dann tatsächlich angeboten wird? Oder ist es mir wichtiger, mich vor einem etwaigen Scheitern zu bewahren? Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von Annäherungs- und Vermeidungszielen. Bei der Annäherung habe ich ein klares Ziel vor Augen und weiß, wo es hingehen soll. Bei der Vermeidung bewege ich mich von etwas weg. Den Selbstwert vor einer Kränkung zu schützen, ist ein typisches Vermeidungsziel.

Das Schwierige an Vermeidungszielen ist, dass wir sie – anders als Annäherungsziele – nur schwerlich erfüllen können. Bei einem Annäherungsziel ist das Kriterium, wann man es erreicht hat, meistens recht klar definiert. So möchte ich zum Beispiel mit Person XY eine feste Beziehung beginnen oder ich möchte die nächste Beförderung erhalten. In beiden Fällen weiß ich, wann ich mein Ziel erreicht habe. Das Ziel, nicht verletzt zu werden, kann hingegen nicht erreicht werden, denn solange wir am Leben sind, sind wir verletzbar.

Wir vermasseln immer wieder etwas, auch die großen Projekte im Leben

Wir alle machen diese Lebenserfahrung unweigerlich, denn es ist ein Teil des Lebens, dass Dinge geschehen, die uns frustrieren. Warum tun wir uns dann mit dem Scheitern dennoch so schwer? Eine Antwort kommt aus der Hirnforschung. So aktivieren Fehler das Schmerzzentrum im Gehirn, wir beginnen also tatsächlich zu leiden. Unser Gehirn ist nämlich darauf programmiert, Angenehmes zu suchen und Unbehagen zu vermeiden. Es registriert Unbehagen – das ja meist aus einem Gefühl des Scheiterns resultiert – als Gefahr, als etwas das wir loswerden müssen. Das gilt für die allermeisten Menschen in unserem Land.

So wurde in einer Studie an der Leuphana-Universität in Lüneburg die Toleranz für Fehler in 61 Ländern verglichen, Deutschland und Singapur landeten auf den letzten Plätzen. Gerade in individualistisch orientierten Gesellschaften stellt Scheitern eine Bedrohung des Selbstwertes dar und je mehr Leistung zum Kriterium für das Selbstbild wird, als desto gravierender wird ein Versagen angesehen. Tatsächlich aber gehört es zu den wichtigen Erfahrungen in unserer Entwicklung, dass Dinge manchmal schiefgehen. Der Psychologe Olaf Morgenroth meint etwas, dass „scheitern Menschen dazu bringt, Neues an sich selbst zu erkennen, aus Denk- und Handlungsroutinen auszubrechen und sich auf andere Erfahrungen einzulassen. Scheitern trägt zur individuellen Entwicklung bei, weil es die Erkenntnis fördert, auch ein anderer sein zu können.“.

Manchmal müssen wir auf die Nase fallen, um etwas erkennen zu können

Wenn nämlich immer alles glatt läuft, besteht für uns keine Notwendigkeit, uns zu hinterfragen und dann haben wir keine Chance, etwas über uns zu lernen, uns zu verändern, zu wachsen. Auch würden wir ohne Misserfolge nicht die Erfahrung machen, dass wir mit Frustrationen und Niederlagen umgehen, sie sogar konstruktiv und kreativ nutzen können.

In der Regel überstehen wir nämlich Niederlagen viel besser, als wir erwarten. In der Forschung spricht man vom psychologischen Immunsystem. Gescheiterte Ehen und verlorene Arbeitsplätze setzen psychische Verteidigungsmaßnahmen in Gang. So konnte nachgewiesen werden, dass seelische Schmerzen kognitive Prozesse auslösen, die den Blick auf die Welt so verändern, dass wir uns besser fühlen. Eine Weile nach einer Niederlage pendelt sich unser Glücksniveau deshalb häufig wieder auf dem Ausgangsniveau ein. Sofern wir dafür sorgen, dass unser Gehirn, nach einem Misserfolg, nicht lange in einem inaktiven Frustrations-Modus verweilt, sondern bald in einen Problemlösungs-Modus gelangt.

Drei Haltungen helfen uns dabei, unsere Ängste vor unliebsamen Gefühlen einzudämmen.

Wenn wir über wenig Handlungsmöglichkeiten verfügen, dann können wir unsere Einstellung zu der Situation verändern. Etwa durch

  • die Anpassung von Erwartungen
  • die Fokussierung auf andere Prioritäten
  • die Annahme von Unabänderlichem

Unser Gehirn bewertet von morgens bis abends, ob wir das bekommen, was wir wollen und produziert währenddessen Erwartungen, wie es weitergehen könnte. Die neuropsychologische Instanz, die dabei arbeitet und wirkt, wird als der Komparator bezeichnet. Wenn dieser keine Abweichungen vom Plan anzeigt, sind wir entspannt, ist das Gegenteil der Fall, empfinden wir Stress, der Ängste auslöst.
Das Ausmaß unseres Angstempfindens können wir also selbst eindämmen, indem wir unsere Erwartungen herunterschrauben oder auch, indem wir neue Prioritäten setzen und somit unseren Fokus verändern. Eine psychisch gesunde Reaktion auf einen Misserfolg ist etwa, wenn wir nach einer kurzen Phase der Trauer oder Verärgerung sagen können: Okay, geschehen ist geschehen. Ich konzentriere mich jetzt auf das nächste Projekt.

Psychisch gesund ist es ebenso, Dinge, die ich nicht verändern kann, anzunehmen. Wenn ich etwa meine Hochzeit unter blauem Himmel geplant habe, es aber unentwegt regnet, dann kostet es mich viel zusätzliche Energie, gegen dieses Schicksal aufzubegehren, anstatt das Beste daraus zu machen. Sehr hilfreich ist es dabei, wenn wir uns in gleichermaßen schicksalhaften wie unliebsamen Situationen, nicht ausschließlich auf den Verlust oder das Scheitern fokussieren, sondern uns auch in Dankbarkeit üben. Dankbarkeit für alles, was uns das Leben dennoch an Fülle bereitstellt.

Weitersagen:

Was tun, wenn die große Liebe ein Beziehungsproblem hat?

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