Wir hören sie oft: unsere innere Stimme. Sie kann unser größter Befürworter sein, uns ermutigen, unsere Träume zu verfolgen und unsere Ziele zu erreichen. Doch gleichzeitig kann sie auch unser schärfster Kritiker sein, sie kann Selbstzweifel und Unsicherheiten hervorbringen. Sie kann uns klein machen und dazu führen, dass wir unsere Fähigkeiten unterschätzen. Wie findet man ein gesundes Gleichgewicht zwischen sinnvoller Selbstreflexion und übertriebener Selbstkritik?
Selbstreflexion vs. Selbstkritik: Der feine Unterschied
Selbstreflexion und Selbstkritik sind eng miteinander verbunden, aber sie haben unterschiedliche Herangehensweisen. Selbstreflexion bedeutet, sich bewusst mit den eigenen Gedanken, Gefühlen und Handlungen auseinanderzusetzen, ohne sofort eine negative Wertung vorzunehmen. Selbstreflexion ist ein beobachtender Prozess, der darauf abzielt, ein besseres Verständnis von sich selbst zu erlangen. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass bestimmte Aspekte kritisch betrachtet und Veränderungen angestoßen werden.
Im Gegensatz dazu beinhaltet Selbstkritik von vornherein eine bewertende Komponente. Dabei beurteilen wir unsere eigenen Handlungen, Gedanken oder Gefühle, wobei der Fokus auf Schwächen oder Fehlern liegt. Selbstkritik kann konstruktiv sein, wenn sie uns dazu anspornt, uns zu verbessern. Allerdings kann sie auch selbstschädigend sein, insbesondere wenn sie so hart ist, dass wir uns keine positive Veränderung mehr zutrauen.
Warum Selbstreflexion unser Wohlbefinden fördert
Menschen, die sich selbst reflektieren, haben einen tieferen Einblick in ihre inneren Motive, Gefühle und Verhaltensmuster. Dadurch sind sie besser in der Lage, ihre Bedürfnisse zu erkennen und ihr Wohlbefinden zu fördern. Wenn wir zudem unsere Schattenseiten anerkennen, können wir bewusster mit ihnen umgehen.
Man kann beispielsweise rechtzeitig bemerken, dass ein Mangel an Sympathie, den man für eine andere Person empfindet, weniger dem Umstand geschuldet ist, dass diese Person tatsächlich nicht nett wäre, sondern beispielsweise daher rührt, dass man auf etwas neidisch ist. So eine Einsicht ermöglicht es uns, unseren Neid zu regulieren und bewusster und friedlicher zu agieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass viele weltliche Probleme auf mangelnde Selbstreflexion und Mitgefühl zurückzuführen sind. Selbstkenntnis ist nicht nur der Schlüssel, um persönliche Probleme zu lösen, sondern auch der Weg, um ein besserer Mensch zu werden.
Wenn Selbstkritik zur Selbstsabotage ausartet
Selbstkritik kann zur Selbstsabotage werden, wenn der innere Kritiker außer Kontrolle gerät und jede Selbstbetrachtung von übertriebener Negativität begleitet wird, ohne Raum für positive Aspekte oder konstruktive Lösungen zu lassen. Wenn ein Mensch ständig gnadenlos mit sich selbst ins Gericht geht, dann hemmt ihn dieses Gefühl. Die Gefahr ist dann groß, in der Selbstabwertung stecken zu bleiben, statt sich weiterzuentwickeln.
Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass beruflicher Erfolg ausbleibt, denn oft treibt diese Selbstkritik sogar zu härterer Arbeit an. Doch die Lebensfreude leidet und das Selbstwertgefühl bleibt niedrig oder unsicher. Wenn jemand tief im Inneren glaubt, nichts wert zu sein, durchdringt diese Haltung sein ganzes Leben. Alle Erfahrungen werden von dieser Überzeugung geprägt, ähnlich wie ein schwarzes Hemd, das in der Waschmaschine die gesamte Weißwäsche grau färbt.
Die richtige Balance zwischen Selbstreflexion und Selbstkritik
Selbstreflexion kann uns auch dabei helfen, nicht überkritisch mit uns selbst zu sein.
Wir können uns Selbstreflexion wie ein offenes Gespräch mit einem verständnisvollen Freund vorstellen – neugierig, einfühlsam und frei von voreiligen Urteilen. In diesem Dialog können wir auch erkennen, wo wir uns möglicherweise nicht ideal verhalten haben. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass ein guter Freund uns nicht aufgrund unserer Fehler abwerten würde, sondern gemeinsam mit uns darüber nachdenken würde, wie wir uns verbessern können.
Ein konstruktiver Umgang mit Selbstkritik beinhaltet auch, sich auf positive Aspekte zu konzentrieren und konkrete Lösungen zu finden, anstatt sich ausschließlich auf Fehler zu fokussieren. Wir müssen darauf achten, dass unser innerer Kritiker nicht außer Kontrolle gerät und uns beherrscht. Für diejenigen, denen dies schwerfällt, kann es hilfreich sein, bewusst Pausen von der Selbstkritik einzulegen und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, sich selbst mit Mitgefühl zu begegnen.“
Erste Schritte für einen gesünderen Umgang mit Selbstkritik
Es ist wichtig, dass Selbstreflexion nicht in einem endlosen Kreislauf verharrt und zu keinem Ende und Ergebnis kommt. Dieses Überreflektieren ist oft mit einem übermäßigen Streben nach Perfektion und Kontrolle verbunden. Bei intensiver Selbstkritik und starken Selbstzweifeln kann es daher hilfreich sein, die Wurzeln dieser kritischen Gedanken zu erkunden. Ziel ist es, die eigentlichen Ursachen für Unsicherheiten zu identifizieren, ähnlich wie das Auffinden des schwarzen Hemdes, das die Wäsche verfärbt. Wir müssen uns bewusst machen, welche negativen Überzeugungen tief in uns verwurzelt sind, wie beispielsweise „Ich bin wertlos“ oder „Ich bin dumm“. Solche simplen Botschaften sind oft tief im Unterbewusstsein verankert und beeinflussen unser Verhalten.
In der therapeutischen Arbeit besteht ein Ziel darin, diese falschen Grundüberzeugungen aufzulösen, da sie eine Art Fehlprogrammierung in unserer Psyche darstellen und nicht der Wahrheit entsprechen. Sobald dieser Fehler erkannt und analysiert wird, kann er korrigiert werden, ähnlich einem Software-Update für die Psyche. Dadurch werden positive Überzeugungen gestärkt und negative Selbstkritik reduziert, was zu einer gesünderen Selbstreflexion führt.“
Am 22. Mai erscheint „Wer wir sind. Das Arbeitsbuch„. Darin zeige ich anhand von praktischen Übungen, wie wir unsere Bedürfnisse, Gefühle, Themen und Blockaden verstehen lernen und neue Perspektiven entwickeln können.