Mitgefühl, Selbstrefelxion

Die Kraft des Mitgefühls

Für jeden fünften Einwohner in Deutschland wäre es wichtig, würden die Menschen mehr Mitgefühl zeigen und einander helfen. Ein Mangel an Mitgefühl entsteht aus blockierten Gefühlen, denn um mitfühlen zu können, benötigen wir einen Zugang zu unseren eigenen Emotionen. Deswegen ist die persönliche Selbstreflexion eine Notwendigkeit. Je reflektierter ein Mensch ist, desto mehr ist er sich seiner Muster und auch seiner Werte bewusst und desto eher wird er Lebenssinn und -glück finden.

Immer wieder neue Untersuchungen zeigen, dass ein sinnerfülltes Leben positive Effekte auf Körper und Seele hat. Der persönliche Lebenssinn gibt uns ein Gefühl der Bedeutsamkeit, wodurch wir uns wohler fühlen und gesünder leben. Während ich mich mit aktuellen Studien zum Sinn-Thema beschäftige, kommt mir meine Klientin Rebecca in den Sinn, die sich bei unserer letzten Sitzung in den Sessel geschmissen und ausgerufen hatte, sie könne vor lauter Sorge um den Weltfrieden gar nicht mehr atmen. Und dass wir uns doch bei jeder Nachrichtensendung fragen müssten, wo eigentlich noch der Sinn im Leben zu finden sei.

An dieser Stelle möchte ich offenlegen, was für mich persönlich den Sinn des Lebens ausmacht. Für mich sind Mitgefühl und Selbstreflexion die Werte, die uns Menschen auszeichnen (sollten). Mitfühlend zu handeln, mich selbst zu reflektieren und außerdem andere Menschen zu mehr Mitgefühl und Selbstreflexion anzuregen, stellt für mich einen wichtigen Teil meines persönlichen Lebenssinns dar. Von dieser altruistischen Haltung abgesehen denke ich außerdem, dass man sein Leben auch einfach genießen sollte. Das löst zwar nicht die Probleme in der Welt, trägt aber zu unserem persönlichen Wohlbefinden, also zu unserer psychosozialen Gesundheit bei.

Was sind meine Muster?

Ich bin überzeugt: Wenn wir es schaffen würden, mehr Mitgefühl zu empfinden und die wahren Ursachen unserer Aggressionen zu ergründen, dann wären wir viel friedlicher. Menschen, denen es schwerfällt, mitzufühlen, haben zumeist selbst wenig Mitgefühl erfahren. Wenn Eltern wenig Empathie für ihre Kinder aufbringen, dann übernehmen ihre Kinder diese Haltung in gewisser Weise. Es fällt ihnen schwer, ihre eigenen Emotionen wahrzunehmen und damit umzugehen – ein Mangel an Mitgefühl entsteht nämlich aus blockierten Gefühlen. Denn um mitfühlen zu können, benötige ich einen Zugang zu meinen eigenen Gefühlen. Wut entsteht aus Angst, Ohnmacht und gefühlter Minderwertigkeit. Mit Selbstreflexion können wir diese inneren Prozesse erkennen und auflösen. Deswegen ist die persönliche Selbstreflexion meiner Meinung nach eine politische Notwendigkeit. Je reflektierter ein Mensch ist, desto mehr ist er sich seiner Muster und auch seiner Werte bewusst und desto eher wird er Lebenssinn und -glück finden.

Tatsächlich geben bei einer NDR-Umfrage 47 Prozent an, dass sie im Alltag Glück empfinden, wenn sie anderen helfen. Dennoch wäre es für jeden Fünften wichtig, würden die Menschen mehr Mitgefühl zeigen und einander helfen. Für dieses soziale Defizit in der Gesellschaft hat die psychologische Forschung eine Erklärung gefunden. Das ewige Kreisen um die eigene Verletzbarkeit macht egozentrisch. Wenn wir sehr viel dafür tun, um von anderen Menschen anerkannt zu werden, dann interessieren wir uns weniger für die anderen Menschen als vielmehr für den Eindruck, den wir bei ihnen hinterlassen. Mein Gegenüber benutze ich als Spiegel und Gradmesser meines Selbstwertes. Dabei kann ich in meiner Selbstbetrachtung leicht versinken und die Befindlichkeit meines Gegenübers aus den Augen verlieren.

Vom Ich zum Wir

Auch Rebecca, die stark mit ihren eigenen Verletzungen beschäftigt ist und misstrauisch-angespannt auf den nächsten Angriff lauert, fehlt es an Empathie für die Befindlichkeit ihres Gegenübers. Sie wähnt sich chronisch in der Opferrolle und bemerkt hierbei nicht, wie sie sich selbst zum Täter macht. Würde sie sich dafür entscheiden, ihren vermeintlichen Selbstschutz aufzugeben, dann wäre das eine Entscheidung, die Auswirkungen auf die Gemeinschaft – im Sinne eines Wir – mit sich brächte. Selbstschutz bedeutet Abgrenzung. Die Grenzen zu öffnen, bedeutet hingegen, andere Menschen in mein Leben hineinzulassen.
Deshalb werde ich Rebecca in unserer nächsten Sitzung dazu anregen

1. darüber nachzudenken, welche höheren Werte sie unterstützen können, um ihre Schutzstrategien zu überwinden. Werte geben unserem Leben Sinn und können uns über unsere Ängste hinauswachsen lassen. Fairness hilft etwa bei Konfliktscheu. Aber auch Zivilcourage, Mut oder Freundschaft sind dabei hilfreiche Werte. Wohlwollen ist ein wunderbarer Wert für Klienten, die ihren Mitmenschen mit viel Misstrauen begegnen. Frieden, Mitgefühl und Toleranz helfen, das eigene Aggressionslevel herunterzufahren.

Und
2. werde ich Rebecca bitten, sich mindestens einen höheren Wert auszusuchen und diesen fest in ihrem Leben zu verankern. Mit Hilfe einer Imaginationsübung soll sie sich vorstellen, wie sich ihr Leben mit dem neuen Wert verändern wird. Es geht um Reden statt Rückzug, Gelassenheit statt Angriff, Wohlwollen statt Misstrauen, Dankbarkeit statt Problemfokus.

Einfach mal Danke sagen

Noch ein spannendes Ergebnis der NDR-Umfrage: Die am häufigsten genannte Bewältigungsstrategie der Teilnehmenden gegen den Krisenmodus ist, „mehr Dankbarkeit für das, was ich habe“ zu empfinden. Leider hat unser Gehirn die schlechte Angewohnheit, sich auf die Probleme und Baustellen in unserem Leben (wie auch im Weltgeschehen) zu konzentrieren und weniger auf die Dinge, die gut laufen. Um diesem Negativ-Drall unseres Gehirns entgegenzuwirken, gibt es eine sehr einfache und wirksame Maßnahme, die heute auch oft empfohlen wird.

Man beginnt, ein sogenanntes Dankbarkeits-Tagebuch zu führen und notiert sich jeden Abend, wofür man den Tag über dankbar sein durfte. Hierdurch ruft man sich vieles ins Gedächtnis, das im Alltag ansonsten als selbstverständlich untergeht. Dazu kann beispielsweise die warme Wohnung gehören, in der wir leben, die freundliche Kollegin, ein leckeres Mittagessen und so weiter. Der Effekt beim Dankbarkeitstagebuch liegt darin, dass wir bereits nach wenigen Tagen des fleißigen Notierens viel aufmerksamer registrieren, worüber wir uns im Alltag freuen können und hierdurch unserem Gehirn ein Schnippchen schlagen.

Weitersagen:

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